Nicht anhaften.

Es ist nicht so leicht zu beschreiben, was mit „Anhaftung“ gemeint ist. Der Begrifft taucht in der Zen-Literatur andauernd auf. Und „nicht anhaften“ soll dort einer der Schlüssel sein, um sein wahres Wesen zu erkennen.

Es geht im Grunde darum, sich nicht zu „verstricken“ in den Dingen der Welt. Das ist schon ein ganz gutes Bild: „ich“ bin eingewebt in unzählige Fäden. Jeder Gedanke, jeder Sinneseindruck „produziert“ einen neuen Faden, der das Gewebe immer dichter und undurchlässiger werden lässt. Wie eine Mumie bin ich eingesponnen.

Oder man stellt sich vor, dass man eine Kiste voller Klebeband hat und mit den Händen darin herum wühlt. Überall bleibt man kleben und immer wieder muss man das Band von den Fingern lösen, damit sich überhaupt noch bewegen kann. Ohne Anhaftung ist die Kiste und das Klebeband immer noch da, aber es klebt nicht mehr an den Händen.

Noch besser gefällt mir ein anderes Bild: für die Person ist jedes Geschehen, jeder Gedanke, wie in Stein gemeißelt. Jede Linie ist für alle Ewigkeiten festgehalten. Und weil sie kaum noch rückgängig gemacht werden kann, wird ihre „Richtigkeit“ verteidigt. Und wenn alles seine Spuren unveränderbar hinterlässt, ist alles auch extrem wichtig. „Ich“ will kontrollieren, welche neuen Spuren hinzu kommen. Nicht, dass etwas Unerwünschtes passiert – das wäre eine Katastrophe!

Wenn man es schafft einen Schritt zurück zu treten, verändert sich das Bild. Die Linien entstehen immer noch – doch jetzt nur noch wie in Sand gezeichnet. Mit der Zeit können sie verwischen, werden undeutlich oder verschwinden sogar ganz. „Ich“ ärgere mich immer noch über Linien, die nicht so aussehen, wie „ich“ sie mir wünschen würde. Doch das ist alles nicht mehr so schlimm, weil sich das Bild ja auch wieder verändern kann. Vielleicht ist die Linie, über die „ich“ mich gerade noch ärgere, bald schon nicht mehr zu sehen.

Kann „ich“ mich noch weiter von der Anhaftung an die Dinge der Welt lösen, entstehen die Linien nur noch auf dem Wasser. Sie hinterlassen kurz eine sichtbare Spur, erzeugen einige Wellen und bringen so die Oberfläche für einige Zeit in Unruhe. Doch schon sehr bald ist auch das vorüber. Mehr als diese Unruhe ist auch von unerwünschten Linien nicht zu erwarten. Immer ist die Gewissheit da, dass sich die ganze Aufregung nicht lohnt. Linien kommen und vergehen.

Auch wenn man „hinter die Dinge“ sieht, verschwinden die Linien nicht. Es gibt immer noch die Welt mit all den Dingen, die darin passieren. Ständig ergeben sich neue Linien – doch sie sind wie in die Luft gezeichnet. Sie sind nur im Moment ihrer Entstehung zu sehen. Eigentlich nicht einmal als Linie, sondern eher als Bewegung. Nichts hinterlässt eine Spur. Es gibt diese Bewegung, diese Linien. Ihre Häufigkeit, ihre Tiefe, die Geschwindigkeit ihrer Entstehung: alles ist unverändert. Aber aus dem „Erstarren in Stein“ ist Freiheit geworden.